Öffentliche Anhörung im Landtag BW

Am Montag, 20.06.2022 fand im Landtag in Baden-Württemberg eine Sitzung des Ausschusses für Soziales, Gesundheit und Integration zum Krankheitsbild ME/CFS statt. Der Sitzungsleiter (Vorsitzende) Herr Florian Wahl eröffnete die Sitzung und sprach einleitende Worte. „Zum Krankheitsbild gehören z. B. Symptome wie schwere Fatigue als körperliche Schwäche sowie verschiedene neurokognitive, autonome und immunologische Symptome, die sich bei minimaler körperlicher oder geistiger Anstrengung verschlechtern. Dies wird als PostExertional Malaise bezeichnet.“

Den Beginn der Expertenrunde machte Frau Prof. Dr. Scheibenbogen aus der Charité in Berlin. Frau Prof. Dr. Scheibenbogen ist vom Ursprung her Hämatoonkologin und hat vor 15 Jahren die Leitung der Sprechstunde mit dem Namen ME/CFS an der Charité übernommen. „Sie war damals sehr überrascht, dass es so viele junge Menschen betrifft, das Krankheitsbild so schwer ist und der Wissensstand noch sehr gering ist.“ In einem späteren Satz erwähnt sie, „Die Situation hat sich bis heute nicht ausreichend gebessert. Nach wie vor ist es so, dass die meisten Patienten unterversorgt sind und dass wir bis heute keine Therapien haben, die zugelassen sind.“

Die zweite Expertin war Frau Prof. Dr. Behrends. Frau Prof. Dr. Behrends ist ebenfalls Onkologin und Hämatologin, allerdings für Kinder und Jugendliche. Sie beschäftigt seit vielen Jahren mit der Forschung zum Epstein Barr Virus. Sie hat zusammen mit anderen Ärzten ein Zentrum für Betroffene in München gegründet. Eine für mich wichtige Aussage war, dass es „eine klare Evidenz gibt, dass unsere Gene eine Rolle spielen. Zum einen erkranken weibliche Personen nach der Pubertät häufiger als männliche und zum anderen zeigen Verwandtschaftsstudien, dass das Risiko weitere Fälle innerhalb einer Familie mit dem Verwandtschaftsgrad abnimmt und bei eineiigen Zwillingen höher ist als bei zweieiigen.“

Der dritte Experte war Herr Prof. Dr. Steinacker aus der Uniklinik in Ulm. Ihm wurde die Frage gestellt, ob Post Covid und ME/CFS nicht das Gleiche sind? Er stellte anhand von Folien vor allem Post Covid aus der Epiloc-Studie vor. Später wurde von Gerhard Heiner meiner Meinung nach völlig zurecht darauf hingewiesen, dass das fehlende Abfragen der kanadischen Konsenskriterien ein schwerwiegender Mangel an dieser Studie ist. Hier wurde leider die Chance verpasst, bei Post Covid Patienten vor allem PEM festzustellen und damit die entsprechende Behandlung (Pacing) einzuleiten. Wenn man diese Patienten in eine Aktivierung treibt, landen diese fast automatisch in ein ME/CFS. Das soll für mich nicht heißen, dass jegliche Aktivierung bei allen Post Covid Patienten falsch ist, aber durch das Abfragen einer möglichen Belastungsintoleranz, könnte man eine Fehlbehandlung vermeiden.

Den nächsten, für mich enorm wertvollen Beitrag kam von Susanne Ritter. Er berührte meine Emotionen wirklich stark und ich hoffe, das hat auch auf die Politiker und Politikerinnen Eindruck gemacht. Schließlich haben Politiker auch Familien. Die (Leidens-)Geschichte ihrer Tochter hat mich wirklich sehr bewegt. Der größte Skandal auch im 21. Jahrhundert ist, dass Eltern um ihre Kinder vor Gericht kämpfen müssen. Falsche psychiatrische Gutachten, mangelnde Kenntnisse der Ärzte, Institutionen, Gerichte über ME/CFS führen zu Fehlbehandlungen und unerträglichem Leid bis zum möglichen Kindesentzug!

Herr Gerhard Heiner aus der Selbsthilfegruppe ME/CFS Freiburg sprach als Nächster. Er ist Vater eines betroffenen Sohnes und beschrieb kurz den Verlauf der Krankheit seines Sohnes. Einen für viele Patienten zutreffenden Satz hat er berichtet: „Wieso hatte eigentlich keiner der vielen Ärzte, bei dem unser Sohn zu diesem Zeitpunkt schon war, nicht festgestellt, dass ME/CFS vorlag?“ Er stellte viele wichtige Punkte vor und sagte: „Dies alles zu erreichen, ist eine wahre Mammutaufgabe und mit Sicherheit ein mehrjähriges Projekt.“ Den für mich wichtigsten Vorschlag zur Erreichung der Ziele hat er treffend formuliert:
„Wir sehen dies in der Gestalt einer interfraktionellen Arbeitsgruppe in Verbindung mit der Benennung eines parlamentarischen Beauftragten und einer landesweiten Koordinationsstelle am ehesten verwirklicht, angesichts der großen Aufgaben!“

Den nächsten Wortbeitrag hatte Birgit Gustke vom Verein Fatigatio. Sie war selbst früher Vorsitzende dieser Patientenorganisation. Sie stellte das System hinter den Hürden bei ME/CFS vor. Eine leider immer wieder vorkommende Realität war der Hinweis, dass ME/CFS bei Ärzten und Gutachtern nicht bekannt ist und deswegen kommt es häufig zu Diagnosen aus dem psychosomatischen Formenkreis. Durch die fehlerhaften F-Diagnosen kommt es oft zur Falschbehandlung, was für die Patienten fatal ist, da es dadurch zu massiven Verschlechterung durch z. B. Rehakliniken kommt. Ein für mich treffendes Beispiel war der Vergleich mit Depressionen. ME/CFS ist aufgrund von fehlenden Biomarkern eine klinische Diagnose und wird daher von vielen Ärzten und Gutachtern nicht anerkannt. Allerdings haben auch andere Krankheiten klinische Diagnosen, wie z. B. die Depression und diese wird natürlich anerkannt. Frau Gustke hat ausdrücklich betont, dass die Diagnose ME/CFS nicht bekannt bzw. anerkannt wird und dadurch psychische Diagnosen mit vielfältigen schweren Folgen gestellt werden. ME/CfS wird sozialmedizinisch sowohl in den Modulen zur Ermittlung des Pflegegrads als auch in dem Anhang SGB IX Teil B zur Erfassung des GdB sehr schlecht abgebildet und PatientInnen erhalten dadurch keine entsprechende Versorgung. Dies ist ein Bereich, der den Sozialausschuss in die Verantwortung nimmt und dem sie sich annehmen möchten.


Ebenso war ein Vertreter der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS zugegen. Torben Elbers begann mit einem Zitat: „Derzeit ist die Erkrankung in Deutschland auch in der Ärzteschaft noch nicht ausreichend bekannt. Viele Betroffene warten deshalb lange auf ihre Diagnose, zudem sind sie einem hohen Stigma ausgesetzt.“ Das kann ich nur persönlich unterstreichen! Im Vergleich mit Multipler Sklerose und ME/CFS und entsprechende Forschungen sind Zahlen genannt worden. 8000 Veröffentlichungen von ME/CFS stehen 100.000 Veröffentlichungen bei MS gegenüber. Die Forschung von ME/CFS ist 40 Jahre im Rückstand gegenüber von MS! Das ist wirklich krass.

Anschließen folgte eine Fragerunde, zu der ich hier nichts schreiben möchte. Etwas schockiert und enttäuscht war ich über Frau Dr. Sabine Schindler. Vor allem der Satz: „Nach wie vor sehen wir Hausärzte und Fachärzte für Neurologie als primäre Ansprechpartner. Es gibt Zentren für seltene Erkrankungen und die Patienten hätten die Möglichkeit, dort eine Diagnose zu bekommen.“ Hat Frau Dr. Sabine Schindler bei den Vorrednern nicht richtig zugehört? Genau das Gegenteil habe ich von Patienten erfahren, dass es zur Ablehnung kam, da ME/CFS keine seltene Krankheit ist. Alle Neurologen/Psychiater, mit denen ich bisher zu tun hatte, haben wenig bis keine Ahnung über dieses Krankheitsbild. Ein Patient hat mir von einem Besuch bei einem Neurologen berichtet. Er wollte eine Abklärung wegen Kribbelparästhesien haben und der Neurologe hat den Patienten nach zwei Minuten aus dem Zimmer geschoben, mit dem Hinweis – bei ME/CFS kann man sowieso nichts machen. Wir brauchen unbedingt spezielle Zentren zur Diagnostik und Behandlung von ME/CFS. Mit den vorhandenen Strukturen ist leider kein Blumenstrauß zu gewinnen!

Dieser Artikel fasst nur rudimentär und subjektiv (Verfasser Wilfried Lang) zusammen und hat keinen Anspruch auf vollständige Wiedergabe der Inhalte der jeweiligen Personen!


Die öffentliche Anhörung ist abrufbar in der Mediathek des Landtags:

Mediathek Landtag BW

Wilfried Lang